Frederik Thiede ist Orthopädietechnikermeister bei Ottobock und schult Menschen bei der Konstruktion von Prothesen und der Anpassung an die individuellen Anforderungen der Kunden. In der Technik steckt über ein Jahrhundert voller Erfahrungen, Erfindungen und Innovationen. 
 

Präzise Schulungen für optimale Prothesenversorgung

Ein Mensch, der eine Prothese verwendet, ist nicht krank“, erklärt Frederik Thiede und stellt richtig: „Es fehlt eine Extremität, ein Arm oder ein Bein. Unser Ziel ist es, diese bestmöglich zu ersetzen. Deshalb sprechen wir auch nicht von Patient:innen, sondern von Anwender:innen.“ Der 52-Jährige leitet seit fünf Jahren die Abteilung Prothetik der Global Academy von Ottobock, dem Weltmarktführer für Prothesen. Die Akademie im niedersächsischen Duderstadt verfügt über zwei Ausbildungsstätten, in denen Schulungen mit einer Dauer von einer Woche bis zu einem Jahr durchgeführt werden. Das Programm variiert je nachdem, ob nationale oder internationale Orthopädietechniker:innen an den Lehrgängen teilnehmen. International ist der Beruf oft in den klinischen und technischen Bereich aufgegliedert. Ersterer kümmert sich um Anamnese, Ausmessung und Anpassung der Prothese, letzterer um den konkreten Bau des Hilfsmittels in der Werkstatt. In Deutschland vereint der Beruf beide Stränge. Orthopädietechniker:innen besitzen eine allumfassende Expertise. In drei Jahren lernen Auszubildende alles über Prothesen und Orthesen – also Hilfsmittel, die Extremitäten und Funktionen ersetzen können. 

Sensortechnologie und Steuerung

Zunächst vermittelt Thiede in den Schulungen Grundlagen. Was passiert in den acht Unterphasen des Gangzyklus? Wie funktioniert die Sensorik in einem mechatronischen Kniegelenk? „Wir messen, welches Gewicht einwirkt, wie stark das Gelenk bei Belastung einbeugt und welche Streck- oder Beugemomente es gibt. Die Software und der im Kniegelenk integrierte Mikroprozessor verarbeiten diese Parameter, sodass die in der Prothese eingebaute Hydraulik die Bewegung korrekt steuert.“ In solchen Schulungen sind auch Anwender:innen vor Ort, mit denen das Einstellen einer Prothese geübt wird. „In den Fortbildungen vermitteln wir den Teilnehmenden detailliertes Wissen über den Aufbau einer Prothese bis hin zu Messungen, Korrekturen und der Einstellung der Software, damit das Hilfsmittel ideal verwendet wird.“ 

Mann arbeitet an Prothese

Porträt Frederik Thiede

Frederik Thiede (52) hat in der Orthopädietechnik die perfekte Kombination aus Medizin und Maschinenbau gefunden. Nach seiner Ausbildung zum Orthopädietechniker in einem Sanitätshaus in Würzburg und der Meisterschule führte sein Weg über das fachliche Unterrichten an der Bundesfachschule Orthopädie-Technik (BUFA) in Dortmund zu Ottobock. Dort ist er Leiter des Bereichs Beinprothetik. 

Moderne Prothesenherstellung in der Praxis

Neben theoretischen Inhalten lernen die Absolventinnen und Absolventen der Academy-Kurse auch in der Praxis, eine Prothese zu bauen. Dafür gibt es spezielle Werkstätten vor Ort, in denen sie lernen, Ersatzkörperteile für die Anwender:innen zu bauen, anzupassen und einzustellen. Für eine Unterschenkelprothese beispielsweise muss zunächst ein Schaft gefertigt werden. Dieser Arbeitsschritt wird mithilfe eines Gipsabdrucks, aber auch immer häufiger via 3D-Scan durchgeführt. Das Bauteil muss die richtige Größe haben, darf nicht drücken. „Wir verwenden thermoplastisch verformbare Kunststoffe, aus denen wir einen Testschaft fertigen. Der finale Schaft der Prothese wird individuell bei den Träger:innen angepasst. Wenn alles sitzt, wird die finale Prothese aus Karbonglasfaserlaminaten gefertigt“, erklärt Thiede. Dieses Material bietet die idealen Eigenschaften: Es ist leicht, gleichzeitig fest, korrosionsbeständig und leitet wenig Wärme oder Kälte. Um die fertige Prothese einzustellen, gibt es spezielle Software. Der Umgang damit ist ebenfalls Teil der Schulungsinhalte. Frederik Thiede ist selbst gelernter Orthopädietechnikermeister. Auf der Suche nach dem richtigen Beruf stieß er auf diese Fachrichtung, vorher hatte er drei Semester Maschinebau belegt, den Grundwehrdienst geleistet und Medizin bis zum Physikum studiert: „Für mich die perfekte Verbindung aus Medizin und Technik“, sagt er rückblickend. In einem Sanitätshaus in Würzburg lernte er, Prothesen- und Orthesen zu bauen und anzupassen.  

Global im Einsatz in Kriegs- und Krisengebieten

Nach zwei Jahren als Geselle wechselte er an die Bundesfachschule für Orthopä- dietechnik (BUFA), machte seinen Meister, und unterrichtete dort nach seinem Abschluss selbst drei Jahre Unterschenkelprothetik. Damit spezialisierte er sich endgültig auf den Bereich Beinprothetik. 2009 bekam er ein Stellenangebot von Ottobock. Fast zehn Jahre arbeitete Thiede danach als Trainer und schulte Orthopädietechniker:innen und intern auch Kolleginnen und Kollegen zu den verschiedenen Produkten des Unternehmens. „In der westlichen Welt werden Prothesen häufig von Menschen benötigt, denen aufgrund einer Durchblutungsstörung, zum Beispiel im Zusammenhang mit Diabetes, ein Fuß, ein Unterschenkel oder ein Bein amputiert werden muss. Auch nach einem schweren Verkehrsunfall kann das passieren“, sagt der gebürtige Kieler. In Kriegs- und Krisengebieten wird die Technik von Ottobock ebenfalls gebraucht. Ende September wurden junge Leute aus der Ukraine für mehrere Wochen geschult: „Sie lernten in unserer International O&P School, wie Beinprothesen gebaut werden.“ 
 

Von der Kriegsnachsorge zur industriellen Prothetik

Auch die Gründung der Firma Ottobock im Jahr 1919 geht auf einen Krieg zurück. Nach dem Ersten Weltkrieg gab es zahlreiche Versehrte, die auf Prothesen angewiesen waren. „Bis dahin wurde Knieteile einzeln aus Holz gefertigt. Unser Gründer Otto Bock hat die industrielle Fertigung auf den Weg gebracht.“ So konnten sich die Orthopädietechniker:innen mehr auf die individuelle Anpassung für jede Person konzentrieren. Das ist bis heute so, denn die Schnittstelle zwischen Mensch und Technik ist laut Thiede sehr individuell: „Wir liefern das Bauteil, von Händen und Armen bis hin zu Kniegelenken, Beinen oder Füßen. Die Anpassung erfolgt dann im Sanitätshaus.“ 

Von der Mechanik zum Mikroprozessor

1997 stellt Ottobock mit dem C-Leg das erste mikroprozessorgesteuerte Kniegelenk vor. Diese Prothesen sind zertifizierungspflichtig im Hinblick auf Sicherheit, Wirksamkeit und Qualität als medizinisches Hilfsmittel. Weltweit gibt es verschiedene Siegel, in der EU ist es das CE-Label. Auch das ist ein großer Teil von Thiedes Arbeit. Er erstellt mit seinem Team und in Zusammenarbeit mit zahlreichen Kolleginnen und Kollegen Schulungs- und Testunterlagen, damit die Produkte richtig eingesetzt werden können. Nur wer den Test besteht, darf mit den Ersatzkörperteilen arbeiten. Zusätzlich ist Thiede im Entwicklungsteam eingebunden, um Ideen einzubringen und Prototypen zu testen. „Das Laufen mit einer Prothese ist viel anstrengender als ohne“, erklärt Thiede. „Unser Ziel ist es deshalb immer, den Bewegungsablauf noch natürlicher und müheloser zu gestalten.“ So liege beispielsweise beim neuesten, mit einem Mikroprozessor gesteuerten Kniegelenk, dem Genium X4, der Fokus deutlich auf der Optimierung der Bewegungsabläufe, wodurch Anwender:innen künftig weniger Energie für Tätigkeiten aufwenden müssten. Doch auch die Software entwickelt sich weiter. So können Nutzer:innen heute über eine App einstellen, dass sie mit ihrer Prothese Fahrrad fahren möchten. Die Bewegungen werden entsprechend angepasst.

 

Inspiration durch verbesserte Lebensqualität

In seiner Arbeit motiviert es Thiede immer wieder, wenn er sieht, wie Menschen dank Prothesen ihren Alltag wieder ohne Hilfe bewältigen können und Lebensqualität zurückgewinnen: „Es ist für mich hochemotional, zu sehen, wenn jemand plötzlich wieder eine Treppe laufen kann.“ Bevor er die leitende Position antrat, reiste Frederik Thiede selbst für vier Monate im Jahr als Trainer durch Osteuropa, Asien und Afrika – zu der Zeit hat er auch noch persönlich Prothesen angepasst. „In Deutschland haben alle Menschen Zugang zu Hilfsmitteln. In Kriegsgebieten ist das nicht selbstverständlich“, sagt Thiede. Deshalb versuchen Ottobock und die Ottobock Global Foundation in Krisengebieten die orthopädietechnische Infrastruktur wieder auszubauen. 

 

Text: Kristin Koch

Bilder: Ottobock

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