Wer dachte, PHL7 sei eine Figur aus einem der Star-Wars-Filme, hat falsch geraten. Es ist ein Enzym, das bestimmte Plastiksorten wie Polyethylenterephthalat, kurz PET, in bisher nicht gekannter Schnelligkeit zerlegt und wiederverwertbar macht. Ob PHL7 dazu beitragen kann, den Recyclingkreislauf zu schließen, erforschen Dr. Christian Sonnendecker und sein Team an der Universität Leipzig.

Das globale Plastikproblem 

Die erschreckende Bilanz der weltweiten Kunststoffabfälle: Laut WorldWide Fund of Nature (WWF) wird global betrachtet jährlich mehr als 200 Mio. t Plastikmüll entsorgt. Etwa ein Drittel macht handelsübliches Verpackungsmaterial aus, welches in Böden und in die Meere gelangen kann. Bis eine Plastikflasche im Meer zerfällt, dauert es nach Angaben des Naturschutzbund Deutschland e.V. (NABU) rund 450 Jahre. Die Wissenschaft geht jedoch davon aus, dass sich der Werkstoff nie vollständig zersetzt, sondern dass immer winzige Kunststoffteilchen übrigbleiben. „Die Folgen von Mikro- und Nanoplastik für Lebewesen und die Natur sind überhaupt nicht absehbar. Wir wissen heute, dass sich Mikroplastik auch im Körper anreichert und plazentagängig ist. Das heißt, dass ungeborene Kinder schon damit in Berührung kommen, bevor sie auf der Welt sind. Weiterhin lagern sich diese Partikel in den Arterien ab, was zu einer Zunahme von Infarkten führen könnte“, sagt Dr. Christian Sonnendecker. Ihm zufolge müsste Kunststoff schon in der Produktion so entwickelt werden, dass er ressourcenschonend wieder abgebaut werden kann: „Hierfür können wir noch viel mehr von der Natur lernen.“ 

PHL7_Christian Sonnendecker

Porträt 

Christian Sonnendecker (39) ist promovierter Biochemiker. Der gebürtige Rheingauer zog 1999 nach Leipzig. Dort forschte er mit seinem Team am Institut für Analytische Chemie an den EU-Projekten ENZYCLE und MIPLACE im Bereich Kunststoffrecycling. Seit 2023 arbeitet er am Transferzentrum b-ACT matter der Universität Leipzig am Launch eines Start-ups rund um das Enzym PHL7. 

Die Entdeckung des Enzyms PHL7

Mit diesem Antrieb forscht der Biochemiker an dem 2021 entdeckten Enzym PHL7, das PET-Kunststoffmaterial abbauen kann. „Tatsächlich finden wir die Enzyme dort, wo Pflanzenmaterial fermentiert, also zersetzt wird. Zwei meiner Kolleginnen und Kollegen haben PHL7 in Proben aus einem Komposthaufen auf dem Leipziger Südfriedhof extrahiert. Er gilt als Europas zweitgrößte Ruhestätte und liegt in einem Park. Entsprechend gibt es hier eine Vielzahl an Pflanzenresten. Daher vermuten wir, dass die Mikroben die Enzyme nicht zum Kunststoffabbau nutzen, aber aufgrund der Ähnlichkeit der Strukturen ebenfalls dazu in der Lage sind.“ PHL7 ist nicht das erste Enzym, das auf diese Weise entdeckt wurde. Der Biokatalysator LCC, bisher der heißeste Kandidat für PET-Recycling, wurde ebenfalls in Kompost isoliert. Doch was haben Proteine mit PET zu tun? Pflanzen bilden Polyesterstrukturen, wie das sogenannte Cutin, die durch mikrobielle Enzyme wie PHL7 abgebaut werden können. PET basiert ebenfalls auf diesen Polyesterverbindungen und ahmt dabei die Chemie der Natur nach. Dank dieser Ähnlichkeit kann PHL7 diesen Kunststoff auflösen. 

Laborversuche und enzymatischer PET-Abbau

Sonnendecker und sein Team haben sich diese Eigenschaft zunutze gemacht, indem sie die Erbinformationen des Enzyms in Escherichia coli-Bakterien einsetzten, die wie kleine Biofabriken das Ferment in größerer Menge herstellten. E-coli-Bakterien vermehren sich schnell und können gentechnisch so verändert werden, dass sie beispielsweise Enzyme produzieren. In Reinform konnten die Forschenden PHL7 in ersten Versuchsreihen einsetzen. Dafür gaben sie einen standardisierten PET-Film in eine Wasserlösung mit dem Enzym. „Bei einer Temperatur von 70 °C hat das Enzym den Film nach 18 Stunden vollständig aufgelöst. Das ist doppelt so schnell wie bei Experimenten mit LCC“, sagt der Wahl-Leipziger. Zurück bleiben sogenannte Monomere, die Bausteine, aus denen die PET-Polymere zusammengesetzt sind: „Es ist wie Lego – wir zerlegen das Molekülgerüst in seine Grundbausteine, reinigen diese und können sie dann wieder nutzen, um neue Polymerketten aufzubauen.“ 

PHL7_Infografik

Mit PHL7 den Recyclingkreislauf von Kunststoff verkürzen

Ein Lösungsansatz für unser Müllproblem: Polyester-Kunststoffe wie PET oder PLA werden zunächst thermomechanisch recycelt, wobei die Qualität prozessbedingt mit jedem Zyklus abnimmt. Nach wenigen Zyklen erfolgt das molekulare Recycling, bei dem das Polymergerüst enzymatisch in Monomere zerlegt und diese gereinigt werden, um daraus neuen Kunststoff herzustellen. Für biologisch abbaubare Kunststoffe bietet dieser Ansatz eine sinnvolle Alternative zur Kompostierung. Gleichzeitig können fossile Ressourcen ersetzt, atmosphärisches CO₂ in Materialien gebunden und der Bedarf an Neuproduktion durch effizientes Recycling deutlich reduziert werden. 

Ist PHL7 die Lösung der Plastikflut?

In einem weiteren Versuch verwendete das Forschungsteam eine handelsübliche Weintraubenverpackung. Sonnendecker nennt sie „thermoforme Tiefziehfolien“. Genau diese Behältnisse sind Teil der PostConsumer-Abfälle, die jährlich mehrere Mio. t Müll verursachen. Sie wiegen zwischen 15 und 20 g. Mit mikroskopischen Verfahren untersuchte das Team, was während des Versuchs auf der Oberfläche des PET passiert: Wie viel Gewicht in welchem Zeitraum verloren geht, wie viele Monomere, also Grundbausteine, freigesetzt werden. Das chemische Verfahren heißt Hydrolyse. Dabei wirkt das Enzym als Katalysator und beschleunigt die Spaltung des Polymerrückgrats mit Wasser. „Wir haben bei PHL7 eine Schlüsselmutation gegen- über LCC entdeckt. Statt Phenylalanin befindet sich die Aminosäure Leucin an der Bindungstasche. Und wir vermuten, dass die Geometrie dieser Bindungsstelle leicht anders gelagert ist. Deshalb können die Substrate aus dem PET viel besser an PHL7 andocken und schneller zersetzt werden“, erklärt Sonnendecker. Ihre Ergebnisse veröffentlichte die Forschungsgruppe im Fachmagazin ChemSusChem. In Deutschland wird laut Abfallwirtschaft rund ein Drittel des Plastikmülls recycelt, der Rest wird in großen Anlagen durch Flammen zersetzt. „Wir interessieren uns in unserer Forschung daher eher für die Traubenverpackung, denn diese wird oft direkt verbrannt. Im Gegensatz dazu wird die PET-Flasche bereits gut recycelt“, so Sonnendecker. Aber PET ist nicht gleich PET. Je nach Verkettung der Moleküle entsteht eine kristalline oder eine amorphe Form: „Bei amorphem PET wie Tiefziehfolien sind die PET-Ketten ungeordnet, ähnlich wie in einem Spaghetti-Knäuel. Diese Beschaffenheit kann unser Enzym besser zerlegen. Leider macht diese Art der Verbindung den kleineren Anteil am Verpackungsmüll aus. PET-Flaschen gehören nicht dazu.“ Das stellt jedoch kein Problem dar, denn aus diesen Behältern können durch einen Schmelzprozess ebenfalls Tiefziehfolien hergestellt werden. So wird das PET wieder amorph und ist mit Hilfe von Enzymen wie PHL7 leicht zu zersetzen.

Zukunftsperspektiven des biologischen Kunststoffabbaus

Diese Erfahrungen machten die Wissenschaftler:innen auch im EU-Projekt „ENZYCLE“. Sonnendecker und sein Team fanden viele weitere potenzielle PETabbauenden Enzyme, wohingegen bei Versuchen mit Polyethylen der Erfolg ausblieb. Andere Plastikverbindungen wie Polyethylen, Polypropylen, Polystrol und PVC-Kunststoffe sind chemisch gesehen zu stabil, um ein breites Repertoire an nachhaltigen Recyclinglösungen zu entwickeln. Die gute Nachricht ist, dass PHL7 auch Biokunststoffe wie PLA, PCL, PBS oder PBAT zersetzen kann. Diese neuartigen Kunststoffe werden so hergestellt, dass sie biologisch abbaubar sind, beispielsweise aus Maisstärke, aber auch auf Erdölbasis und finden sich unter anderem in Einweggeschirr, Dentalprodukten und Verpackungsfolien. „Wenn wir Plastik so produzieren, dass Enzyme es zerlegen und durch den chemischen Prozess neuer Kunststoff entsteht, bleibt das CO₂ darin gebunden. Wir würden der fossilen Unabhängigkeit ein kleines Stück näherkommen“, resümiert Sonnendecker. Seit Juni 2024 forscht der 39-Jährige mit seinem eigenen Start-up „ESTER“ daran, wie PHL7 wirtschaftlich genutzt werden kann.