Als Tissue Engineering wird die gezielte Gewebezüchtung im Labor zu Therapie- oder Forschungszwecken bezeichnet. Für die Medizin entfaltet dies die Chance, Gewebeschäden durch körpereigenes Zellmaterial zu beheben und so dem Patienten eine hoch individuelle Behandlung einerseits und die Vermeidung von Abstoßungsreaktionen andererseits zu gewährleisten. Tissue Engineering wird mitunter als Teilgebiet der regenerativen Medizin betrachtet, doch auch die Grundlagenforschung und Lebensmittelindustrie setzen auf dieses Thema.

Wie funktioniert Tissue Engineering?

Tissue Engineering beginnt mit der Entnahme von Zellmaterial, aus dem im Anschluss „in vitro“, also im Laborumfeld, Gewebe gezüchtet wird. Soll beispielsweise Knorpelgewebe erzeugt werden, geschieht das im ersten Schritt über die Entnahme von Knorpelzellen. Anschließend werden diese unter streng definierten Laborbedingungen in einer Nährlösung (o. Ä.) vermehrt. Ist eine ausreichende Gewebemenge herangewachsen, wird das Material dem Patienten implantiert.

 

Wann immer möglich, setzt man in der regenerativen Medizin auf eigenes Zellmaterial des späteren Empfängers (autolog), um so eine Abstoßung zu vermeiden. Werden aus anderen Organismen Zellen gewonnen, um für den Menschen Gewebe zu züchten, wird das daraus entstehende Zellmaterial in der Wissenschaft als xenogen bezeichnet. 

Welche Einsatzbereiche gibt es für das Tissue Engineering?

Praktische Anwendung findet das Tissue Engineering bereits in der regenerativen Medizin. Die bereits erwähnte Züchtung und anschließende Implantation von Knorpelgewebe ist das vielleicht bekannteste Beispiel. Doch auch Blutgefäße und Herzklappen werden bereits im klinischen Alltag kultiviert und eingepflanzt. Ebenfalls verbreitet ist Tissue Engineering von Hautgewebe, um dies im Rahmen der rekonstruktiven Chirurgie oder der Verbrennungsmedizin einzusetzen. 

Tissue Engineering von Gewebe innerer Organe, z. B. Leber, Niere oder Herzmuskel wird intensiv erforscht, ist allerdings noch nicht reif für den praktischen Einsatz. Dafür ist die Funktion dieser Gewebe zu komplex, gleichwohl wird dies als vielversprechender Ansatz für die Zukunft gesehen. Dasselbe gilt für Prothesen, die sich dem Körper perfekt anpassen und sogar mitwachsen. 

Auch die wissenschaftliche Grundlagenforschung setzt auf Tissue Engineering: Untersucht werden z. B. zelluläre Wachstumsprozesse, die Zellkommunikation oder die Wirkung von Medikamenten. Intensiv erforscht wird auch die Kultivierung von Fleisch in der Lebensmittelproduktion.

Welche Chancen ergeben sich durch das Tissue Engineering?

Tissue Engineering bietet die Chance, Patienten hoch individualisiert zu behandeln. Dazu gehört nicht nur die Therapie mit körpereigenem Gewebe, was das Risiko einer Abstoßungsreaktion signifikant verringert. Vielmehr kann exakt das Gewebe ersetzt werden, was beschädigt ist, ohne großräumig in gesunde Strukturen eingreifen zu müssen. 

Überdies bietet Tissue Engineering die Option, auch solches Gewebe zu kultivieren, das normalerweise nicht regenerativ ist und somit nicht ersetzt werden kann. Ein Beispiel hierfür sind Herzmuskelzellen, die beim Herzinfarkt irreversibel zugrunde gehen, da sie sich nach der Ausdifferenzierung nicht mehr teilen. Dasselbe gilt für Nervenzellen, weswegen Rückenmarksverletzungen häufig schwerwiegend und mit dauerhaften Lähmungen verbunden sind. 

Neben zahlreichen Chancen für die Entwicklung neuer Medikamente und Therapien setzt auch die Lebensmittelindustrie große Hoffnungen in Tissue Engineering. Die Vision der Forscher ist hier, Fleisch im Labor herzustellen und so das Problem der Massentierhaltung zu lösen. Erste Erfolge wurden gemeldet, gleichwohl sind die Kosten aktuell noch zu hoch für eine Marktreife. 

Welche Bedeutung hat der 3D-Druck für das Tissue Engineering?

Die Verbindung zwischen 3D-Druck und Tissue Engineering ist das Bioprinting. Beide Felder sind nahezu untrennbar miteinander verbunden, mitunter wird Bioprinting auch als ein Teilbereich des Tissue Engineerings betrachtet. 

Um organische Strukturen mittels 3D-Druck herzustellen, muss ausreichend Gewebematerial als „Baustoff“ für den Druckvorgang vorhanden sein. Dies wird zuvor durch entnommene Zellen im Labor vermehrt. Bioprinting funktioniert somit nur, wenn das entsprechende Gewebe zuvor labortechnisch herangezüchtet wurde.

Im Umkehrschluss ermöglicht der 3D-Druck die Anfertigung komplexer Strukturelemente, die alleine in der Petrischale nicht entstehen würden. Gute Beispiele hierfür sind rohrförmige Blutgefäße, Herzklappen oder perspektivisch ganze Organe oder Gelenke. 3D-Druck und Tissue Engineering gehören folglich untrennbar zusammen. 

Welche Berufe beschäftigen sich mit Tissue Engineering?

Tissue Engineering ist eine Domäne der Biowissenschaften, der Medizin und den angrenzenden Fachgebieten. So beschäftigen sich v. a. Ärzte, Biologen, Biochemiker und Genetiker mit Tissue Engineering. Häufige Spezialgebiete sind dabei die Molekularbiologie und die Stammzellforschung. 

 

Doch auch technische Berufe haben Berührungspunkte zum Tissue Engineering, insbesondere, wenn es um das Thema Bioprinting geht. Ingenieure und Physiker arbeiten an immer besseren Mikroskopen, Scannern und 3D-Druckern, während Bioinformatiker und Mathematiker die enorme Menge an Daten verarbeiten, die in diesem Fachbereich relevant ist. 

 

Darüber hinaus beschäftigen sich auch Ethiker, Juristen und Politiker mit diesem Thema. Dies v. a. deshalb, um ethische Grenzen zu diskutieren, politische Rahmenbedingungen zu schaffen und die gesetzliche Konformität zu gewährleisten.

Welche Kompetenzen sind für Tissue Engineering erforderlich?

Eine naturwissenschaftlich-technische oder medizinische Ausbildung ist für eine Tätigkeit in diesem Arbeitsbereich mit einem hohen experimentellen Anteil obligatorisch. Hierbei ist allerdings auch entscheidend, in welchem konkreten Arbeitsfeld der Bewerber tätig werden möchte. Die direkte Interaktion am Patienten wie die Zellentnahme und die spätere Gewebeimplantation verlangen eine Approbation als Arzt und eine gute Fähigkeit, die vielen Menschen noch unbekannte wissenschaftliche Teildisziplin einfühlsam zu erklären, Chancen herauszustellen und Ängste zu entkräften.

 

Die Grundlagenforschung im Labor steht auch weiteren naturwissenschaftlichen Berufen offen. Ein umfassendes technisches Verständnis ist notwendig, wenn eine Arbeit im Bioprinting oder der Datenanalyse präferiert wird. Gleichzeitig ist vernetztes Denken unerlässlich, da sich Tissue Engineering nicht strikt in einen biologischen und einen technischen Teil trennen lässt. Aufgrund der großen internationalen Bedeutung sind verhandlungssichere Englischkenntnisse ebenfalls wichtig. 

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