Biophotonik & Raman-Spektroskopie: Es werde Licht – auch in der Zelle!
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Erst wenn Licht auf Materie trifft und gestreut wird, ist es für das menschliche Auge sichtbar. Diesen Effekt nutzt die Biophotonik, um wichtige Informationen über Zellen, die kleinste Einheit des Lebens, zu erhalten. Mit Hilfe des Forschungsfelds der Raman-Spektroskopie lassen sich Krankheiten besser erkennen. Auch Smartwatch-Nutzer:innen könnten bald davon profitieren.
Die Biophotonik vereint die Forschungsstränge von Biologie und Medizin mit der Photonik. Darunter wird die Wissenschaft des Lebens sowie die Nutzung der Eigenschaften des Lichts zusammengefasst. „Wir haben in Licht ein leistungsstarkes Werkzeug, das es uns erlaubt, Lebensprozesse störungsfrei nachzuvollziehen, ohne den Organismus zu schädigen. Das wollen wir nutzen, und zwar in allen Abläufen, die mit Leben zu tun haben – von der Medizin bis hin zu Umwelt und Sicherheit“, erklärt Prof. Dr. Jürgen Popp, wissenschaftlicher Direktor des Leibniz-Instituts für Photonische Technologien (Leibniz-IPHT) in Jena und Leiter des Lehrstuhls für Physikalische Chemie an der Universität Jena.
Zu sehen, was in einer Zelle vor sich geht, ist insbesondere in der Medizin von enormer Bedeutung. Ob Demenz oder Krebs – die Biophotonik kann wortwörtlich Licht ins Dunkel bringen und macht so Prozesse innerhalb der Organismen sichtbar. Zwar gibt es bereits zahlreiche bildgebende Verfahren, um ins Innere des menschlichen Körpers zu sehen. Jedoch können Techniken wie Röntgen, Ultraschall oder Magnetresonanztomografie (MRT) keine zellulären Strukturen wie beispielsweise den Zellkern visualisieren. Oder es braucht Kontrastmittel, die verabreicht werden, um etwa Tumore sichtbar zu machen. Die Biophotonik hingegen bietet neue Werkzeuge, um Zellen hinsichtlich ihrer biochemischen Zusammensetzung zu untersuchen. Eine besonders leistungsstarke biophotonische Methode, welche im Schwerpunkt am Leibniz-IPHT erforscht wird, ist die Raman-Spektroskopie.
Jürgen Popp (58) stammt aus Dinkelsbühl in Mittelfranken. Er studierte Chemie an den Universitäten Würzburg und Erlangen und promovierte in Physikalischer Chemie. Nach einem Forschungsaufenthalt in den USA, wo er auch zu Angewandter Physik arbeitete, übernahm er 2002 die Professur für Physikalische Chemie an der Universität Jena und 2006 die Leitung des Leibniz-IPHT. Er lebt mit seiner Familie in Jena.
Was versteht die Wissenschaft unter der Raman-Spektroskopie beziehungsweise dem Raman-Effekt? „Wenn ein Photon, also ein Lichtteilchen, auf ein Molekül oder kleine Partikel in der Luft trifft, verändert es seine geradlinige Bahn und wird gestreut. Das heißt, es ändert seine Ausbreitungsrichtung. Dabei bleibt in der Regel die sogenannte Energie des Lichtes, also die Farbe, unverändert. Dieses Phänomen nennt die Wissenschaft elastische Streuung. Es kommt jedoch vor, dass wenige, einzelne Photonen beim Kontakt mit einem chemischen Teilchen geringfügig ihre Farbe ändern. Anhand der Farbänderung können wir eindeutige Rückschlüsse auf die chemische Zusammensetzung einer beleuchtenden Probe machen. Wir erhalten quasi einen molekularen Fingerabdruck. Dieses Ereignis nennen wir inelastische Streuung. Und genau das ist der Raman-Effekt“, erklärt Popp. Unter einer Mrd. Photonen ändert nur ein einziges seine Energie, wird also inelastisch gestreut. Der Raman-Effekt ist demnach eine sehr seltene Erscheinung.
Als Jürgen Popp vor 35 Jahren begann, sich für seine Promotion mit dem RamanEffekt zu beschäftigten, war dessen Entdeckung wiederum schon rund 60 Jahre her. Der indische Physiker Chandrasekhara Venkata Raman wies ihn 1928 experimentell nach und erhielt zwei Jahre spä- ter dafür den Nobelpreis für Physik. Doch erst die technischen Entwicklungen des 20. Jahrhunderts sollten dazu beitragen, die Raman-Spektroskopie weiterzuentwickeln. „Raman zeigte diesen Effekt an Benzol, einem leicht entzündlichen aromatischen Kohlenwasserstoff. Er hat das Sonnenlicht genutzt und musste vier bis acht Stunden messen, um ein einziges Spektrum zu erhalten“, berichtet Popp. Dieses Phänomen entsteht, wenn weißes Licht auf ein Prisma trifft und in unterschiedlichen Wellenlängen aufgefächert, also in verschiedene Farben gebrochen wird. Die Entwicklung des Lasers in den 1960er-Jahren verlieh der Forschung um den Raman-Effekt neuen Schwung. Durch die Erfindung wurde erstmals eine Lichtquelle genutzt, die sehr brillantes Licht in einer Farbe ausgesendet hat: „Diese Technik ist die Grundlage für die heutige Nutzung der Raman-Spektroskopie.“
„Als ich Ende der 1980er anfing, an der inelastischen Streuung von Licht zu forschen, war ein Spektrometer so groß wie der Konferenztisch hier am LeibnizIPHT. Die Technologie war damals sehr komplex und nur etwas für Spezialistinnen und Spezialisten“, sagt der 58-Jährige. Die größte Herausforderung liegt darin, das elastisch gestreute Licht aufzufangen, also die 999.999.999 Teilchen, die für die Beobachtung keine Relevanz haben. Mit der Entwicklung leistungsfähigerer Mikroskope und Filter, die mit Prismen elastisches von inelastischem Licht trennen, sowie kleinerer Kameras wurden auch die Raman-Messgeräte immer kompakter. Die Forschenden am Leibniz-IPHT haben ein Gerät entwickelt, das während einer Tumoroperation eingesetzt wird und mithilfe der Raman-Spektroskopie dazu beiträgt, gesundes von krankem Gewebe zu unterscheiden. Das bedeutet konkret: Die befallene Zellstruktur wird während der ärztlichen Behandlung mit Laserlicht untersucht. Das vom Gewebe inelastisch gestreute Licht offenbart, wie und ob der Krebs den Stoffwechsel der Zelle verändert hat. Mithilfe mathematischer Verfahren kann der dadurch entstehende molekulare Fingerabdruck in die für das medizinische Fachpersonal entscheidende Information übersetzt werden. Handelt es sich um einen Tumor oder nicht? Dieses Wissen retten Leben, denn der Erfolg einer solchen Operation hängt davon ab, ob das Karzinom vollständig entfernt wurde. Das entwickelte Gerät wird derzeit bei Tumoroperationen im Bereich Hals-Nasen-Ohren am Universitätsklinikum Jena getestet.
Die Raman-Spektroskopie eröffnet vielfältige medizinische Anwendungsmöglichkeiten. Bei Krebs kann sie nicht nur zwischen gesundem und krankem Gewebe unterscheiden, sondern auch Tumorstadien und Vorstufen erkennen, ohne eine Biopsie zu benötigen. In Zusammenarbeit mit dem Universitätsklinikum Jena plant Prof. Popp, diese Technologie mit haptischer Wahrnehmung zu kombinieren, um sie für die robotergestützte Chirurgie nutzbar zu machen.
In der Infektionsdiagnostik ermöglicht die Methode eine schnelle Erregeridentifizierung und Resistenzbestimmung. Bakterien werden auf einem Chip mit verschiedenen Antibiotika getestet, wodurch ihr molekularer Fingerabdruck und ihre Reaktion auf Wirkstoffe ermittelt werden kann. Der laserbasierte Schnelltest liefert Ergebnisse in weniger als drei Stunden statt der üblichen drei Tage bei mikrobiologischen Verfahren. Dies erlaubt eine zielgerichtete Medikation anstelle von Breitbandantibiotika und kann bei schweren Infektionen lebensrettend sein.
Für seine außergewöhnlichen Beiträge auf dem Gebiet der Raman-Spektroskopie erhielt Prof. Dr. Jürgen Popp im Oktober 2023 den Charles-Mann-Preis. Diese Auszeichnung wird seit 2002 an Expert:innen vergeben, die einen Beitrag dazu leisten, die theoretischen Grundlagen des Raman-Effekts in die Praxis umzusetzen. „Natürlich ist das eine große Ehre für mich, doch sie gebührt dem gesamten Team, unserer Forschungseinrichtung sowie all unseren Kooperationspartnerinnen und Kooperationspartnern“, betont Popp. Der Preis würdigt eine Leistung, die ein wunderbares Beispiel dafür ist, wie Forschungsgelder sinnvoll eingesetzt werden, um praxisnahe Lösungen für große gesellschaftliche Probleme zu entwickeln. „Allein 60 Personen forschen an der Raman-Spektroskopie. Wir haben 130 Doktorandinnen und Doktoranden hier am Leibniz-IPHT, von denen drei Viertel aus dem Ausland kommen. Von den rund 280 Forschenden, die hier arbeiten, bringt mehr als die Hälfte Wissen aus einem anderen Kulturkreis mit. Und genau das ist unsere Stärke: Vielfältigkeit ist die Möglichkeit, Dinge anders zu denken. Nur so lösen wir Herausforderungen. Ich bin stolz auf den weltoffenen Forschungsstandort Jena."
Gemäß dem Slogan des Leibniz-IPHT „Photonics for Life“ werden hier auch andere lichtbasierte Technologien erforscht, etwa Grundlagenforschung im Bereich Demenz. Beispielsweise hat eine benachbarte Forschungsgruppe ultradünne Fasern entwickelt, die es ermöglichen, Neuronen bei der Arbeit zuzuschauen – und Demenzerkrankungen besser zu verstehen. Jürgen Popp ist überzeugt davon, dass sich die Miniaturisierung der technischen Geräte im Bereich der Raman-Spektroskopie fortsetzen wird: „Je kleiner und kostengünstiger die Technik, desto größer der Einsatzbereich. Ich sehe auch ein großes Potenzial bei Personen, die Fitnessuhren tragen. Bereits heute kann so die Herzfrequenz aufgezeichnet und überwacht werden. Warum nicht in Zukunft den Blutzucker einer Diabetikerin oder eines Diabetikers nur mit Licht messen?“ Er kann sich aber auch Anwendungen in der Umweltdiagnostik, der Pharma- oder Lebensmittelsicherheit vorstellen.
Autorin: Kristin Koch
Credits: (Chip) Sven Döring / Katrin Uhlig, Leibniz-IPHT; (Infografik): GfG / Gruppe für Gestaltung GmbH, Dustin Schröder und Leibniz-IPHT; (Porträt Popp) Sven Döring, Leibniz-IPHT