Künstliche Intelligenz: Segen oder Fluch für die Menschheit?
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Ob Navi, Smartphone oder heimischen Sprachassistenten, Künstliche Intelligenz (KI) ist in unserem Alltag angekommen. Über die Auswirkungen ihres verstärkten Einsatzes auf unsere Gesellschaft haben wir mit den beiden KI-Experten Prof. Luc Steels von der Vrije Universiteit Brussel und Prof. Dr. Christopf von der Malsburg vom Frankfurt Institute für Advanced Studies gesprochen.
Eines Tages könnte die KI uns von der Spitze der Evolution verdrängen, wenn wir nicht rechtzeitig anfangen, sie zu regulieren. Das bringt mehrere Zukunftsszenarien mit sich: Etwa,
wenn KI zum Schluss kommt, dass wir eine Bedrohung für den Planeten sind und ausgerottet werden müssen. Die Zukunft unserer Geschichte könnte außer Kontrolle geraten. Bei der Atombombe ist das anders: Ihre Bedrohung haben wir politisch gelöst, wir beherrschen den Umgang mit ihr.
Die Intelligenz heutiger Systeme ist der von fünfjährigen Kindern unterlegen. Es gibt einen enormen Unterschied zwischen dem, was KI heute umsetzen kann und dem, was die Gesellschaft von ihr erwartet. Lange Zeit wurde KI unterschätzt. Das ist jetzt ins andere Extrem umgeschlagen. Wir sollten sie also zum jetzigen Zeitpunkt nicht überhöhen. Es gibt noch viel zu tun.
Dem stimme ich zu. Seit 50 Jahren gibt es keine konzeptionellen Fortschritte in der Forschung auf diesem Feld. Was heute geschieht, basiert auf Ideen aus den 1960er- und 1980er-Jahren. Wir müssen erst verstehen, wie unser Gehirn funktioniert, wie es den Geist erschafft. Sobald wir in der Gehirnforschung diesen Durchbruch erreichen, wird es auch in der KI-Forschung eine tsunamiähnliche Entwicklung geben.
Echte Innovation basiert auf dem Zusammenspiel verschiedener Faktoren: Technologie, Kreativität, gesellschaftliches Miteinander. KI kann derart universale Probleme noch nicht lösen, das ist ein Irrglaube. In den Medien und der Wirtschaft herrscht heutzutage wie erwähnt eine totale Überschätzung.
Das Internet der Dinge ist das treibende Element unserer Zeit. Hardware wie Sensoren und Computer kosten immer weniger. Dasselbe wird mit der KI geschehen – und ist bereits jetzt zu beobachten. Sie eröffnet vielfältige Chancen, etwa um die Produktion zu optimieren. Unternehmen müssen hier kreativ werden.
Allerdings dürfen sie nicht zu lange warten, um sich rechtzeitig wettbewerbsfähig aufzustellen. Ob Immobilienunternehmen, Anwälte, Architekten – überall wird KI Anwendung fnden, besonders im Dienstleistungssektor. Für Unternehmen gibt es also keinen Grund zu zögern, solange die Erwartungen vernünftig sind und sie nicht davon ausgehen, dass KI plötzlich all ihre Probleme löst. KI-Tools werden tatsächlich immer günstiger. Es ist eine Frage des Experimentierens und Testens.
Viele Berufe werden verschwinden. In der Vergangenheit gab es genug Jobs, um uns alle zu beschäftigen. Aber es ist nicht klar, wie das in Zukunft weitergehen wird. Sobald wahre KI existiert, wird es grundlegende Veränderungen in unserer Arbeitsweise geben, denn sie könnte wissensbasierte Aufgaben, etwa von Rechtsanwälten oder Buchhaltern, komplett übernehmen.
Dazu gehören dann zum Beispiel folgende Fragen: Wie organisieren wir eine Gesellschaft, in der Automatisierung weit fortgeschritten ist? Welcher Art von Arbeit werden wir nachgehen? Worauf basiert Einkommen? Wenn wir es richtig angehen, könnten wir eine völlig neuartige Gesellschaftsform aufbauen. Aber wenn wir uns so weiterentwickeln wie bisher, werden Arbeitslosigkeit und Ungleichheit zunehmen. Eine Zukunft, in der niemand leben will.
Europa hat bei der Entwicklung des Computers versagt. Wir sind in Gefahr, mit der KI wieder in die gleiche Situation zu geraten. Ein Teil des Problems ist psychologisch: Die Amerikaner sind sehr offen für Innovationen, die Investoren sind wagemutiger. Das ist in Europa anders. Wir müssen Forschern und Gründern hier die Freiheit geben, das zu tun, was notwendig ist, um Innovationen zu erreichen.
Dem stimme ich zum Teil zu. Wir haben eine gute wissenschaftliche Basis und viel kreatives Potenzial in Europa. In der Vergangenheit haben wir bereits wichtige Beiträge zur KI-Entwicklung geleistet. Aber es gibt in der Tat einen grundlegenden Mangel an Visionen, sowohl bei Industriellen als auch bei Politikern. Ich arbeite seit 40 Jahren in der KI-Forschung und es war immer ein unglaublicher Kampf, Geld aufzutreiben.
Richtig eingesetzt, kann KI die Menschheit retten. Wir neigen dazu, kurzfristige Gewinne über langfristige Ziele zu stellen. Eine KI kann mit perspektivisch und global ausgerichteten Zielen programmiert werden. Wir könnten ihr die Kontrolle über unsere Umwelt überlassen. Sie hilft uns somit, nachhaltige Ziele zu erreichen.
Das sehe ich ähnlich. Wenn ich in die Zukunft blicke, denke ich zunächst an die ökologische Herausforderung, mit Katastrophen wie Klimawandel, Umweltverschmutzung und Abfallentsorgung umzugehen. Die KI kann uns dabei helfen, zum Beispiel die Landwirtschaft oder den Schadstoffausstoß zu reorganisieren. Aber ich möchte anmahnen: Am Ende ist es nur eine Technologie. Wir brauchen einen Mentalitätswechsel. Wenn wir unser Handeln nicht verändern, wird die Zukunft düster aussehen. Die Menschheit wird leiden. Wir brauchen eine grundlegende Veränderung in der Gesellschaft, ganz gleich wie sehr die KI die nächsten 100 Jahre fortschreitet.
Sie ist eine leistungsfähige Technologie und wir müssen sie, wie von meinem Kollegen erwähnt, klug einsetzen. Dabei sehe ich vor allem drei Herausforderungen für unsere Gesellschaft: Wir müssen uns der Grenzen der Technologie bewusst sein. Wir müssen vermeiden, dass bestimmte Menschen sie ausnutzen und andere damit manipulieren. Und wir müssen dafür sorgen, dass unsere Menschlichkeit erhalten bleibt. Wenn wir diese drei Risiken beherrschen, proftieren wir von der KI.
Wie bei allen neuen Technologien gibt es immer beide Aspekte. KI ermöglicht uns die Chance, auf eine bisher noch nie dagewesene Art und Weise zu verstehen, wie unser Geist funktioniert. Das kann unsere Gesellschaft zum Besseren verändern – wenn wir richtig mit ihr umgehen.
Text: Jann Raveling
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