Abflug ins Grüne
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Die Luftfahrt will bis 2050 klimaneutral werden. Ein entscheidender Schritt auf dem Weg zum grünen Fliegen ist es, Alternativen zum fossilen Kraftstoff zur Marktreife zu bringen. Doch das allein wird nicht ausreichen: Es braucht einen ganzheitlichen Ansatz, der auch die Infrastruktur an den Flughäfen in den Blick nimmt und die Produktion erneuerbaren Stroms mit einbezieht.
Sie gilt als einer der Treiber des Klimawandels: die Luftfahrt. Über mehrere Jahrzehnte hat sie ein ungebremstes Wachstum erlebt. Auch nach dem Einbruch durch die Coronapandemie rechnen Fachleute auf lange Sicht wieder mit stetig steigenden Passagier- und Frachtzahlen. Eine internationale Studie unter Beteiligung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) kam 2020 zu dem Ergebnis, dass die Luftfahrtindustrie einen Anteil von 3,5 % an der menschengemachten Klimaerwärmung hat. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass die Branche ihren Anteil zum Erreichen der Klimaziele leisten muss. Die Ansätze, an denen aktuell gearbeitet wird, sind vielfältig: Da geht es um neue Flugzeugdesigns für einen reduzierten Kraftstoffverbrauch und klimaoptimierte Flugrouten ebenso wie um nachhaltige Treibstoffe (Sustainable Aviation Fuels, kurz: SAF) sowie batterie-elektrische oder wasserstoffbasierte Antriebssysteme.
Das DLR-Institut für Solarforschung betreibt in Jülich zwei Solartürme sowie ein rund zehn Hektar großes Feld mit mehr als 2.000 beweglichen, Heliostaten genannten Spiegeln. Mit diesen wird das Sonnenlicht für die Treibstoffgewinnung gebündelt zu den Türmen gelenkt. © Synhelion
Die schnellsten Schritte in eine grüne Zukunft lassen sich nach jetzigem Stand über SAF gehen, für deren Produktion unterschiedliche Ausgangsmaterialien und Verfahren infrage kommen – vom Biokerosin bis zum synthetischen Power-to-Liquid-Kraftstoff. Letzterer lässt sich aus erneuerbaren Energien, Wasserstoff und dem CO₂ aus der Umgebungsluft oder aus Industrieabgasen herstellen. Der Vorteil: Diese nachhaltigen Treibstoffe können von den heutigen Flugzeugen ohne technische Umrüstungen getankt werden. In den benötigten Mengen sind SAF derzeit noch nicht verfügbar, doch an verschiedenen Orten laufen Pilotprojekte. Eines davon setzt gerade das Schweizer Start-up Synhelion im westdeutschen Jülich um, wo kürzlich der Bau der weltweit ersten Anlage zur Produktion solarer Treibstoffe begonnen hat. Das von Synhelion entwickelte Verfahren nutzt konzentriertes Sonnenlicht zur Herstellung von CO₂-neutralem Kerosin. Dabei fängt ein Feld von beweglichen Spiegeln Sonnenlicht ein und lenkt es gebündelt zu einem mit einem thermochemischen Reaktor ausgestatteten Turm. Dort entsteht bei Temperaturen von mehr als 1.000 °C aus Wasser sowie Methan und CO₂, das aus den Bioabfällen einer lokalen Papiermühle gewonnen wird, der Solartreibstoff. Zunächst werden einige tausend Liter pro Jahr erzielt, bei zukünftigen Anlagen dieser Größe in sonnigeren Gebieten sind bis zu 150.000 Liter pro Jahr möglich. Die Lufthansa Group hat eine strategische Partnerschaft mit dem Start-up vereinbart und plant, die Konzerntochter Swiss ab 2023 mit dem synthetischen Kerosin fliegen zu lassen.
Mehr Zeit wird vergehen, um grünen Wasserstoff als Antrieb für die Luftfahrt nutzen zu können. Sowohl bei dessen Umwandlung per Brennstoffzelle in Strom für Elektromotoren als auch mit Blick auf direkt mit Wasserstoff betriebene modifizierte Fluggasturbinen sind noch umfangreiche Forschungs- und Entwicklungsarbeiten notwendig. Der Flugzeughersteller Airbus hat angekündigt, bis 2035 das weltweit erste emissionsfreie Verkehrsflugzeug in die Luft bringen und dabei auf Wasserstoff als Hauptenergiequelle setzen zu wollen.
Die Nahaufnahme zeigt den Solarempfänger von Synhelion, der die notwendige Prozesswärme zur Herstellung von Solarbrennstoffen liefert. © Synhelion
Eine der größten Herausforderungen: Da Flüssigwasserstoff bei minus 253 °C gelagert werden muss und ein größeres Volumen hat als Kerosin, braucht es sehr gut isolierte Tanks und viel Platz. Der Konzern arbeitet zurzeit an drei Konzepten, die verschiedene Ansätze verfolgen und für unterschiedliche Passagierzahlen sowie Reichweiten ausgelegt sind. Um die Technologie zu testen, soll ab Ende 2026 ein umgebauter A380 mit vier im Heck installierten Wasserstofftanks und einem Testtriebwerk in die Luft gehen. Parallel will Airbus zusammen mit dem Gasehersteller Air Liquide und dem Flughafenbetreiber Vinci Airports bis 2030 die nötige Infrastruktur für die Betankung von Flugzeugen mit Wasserstoff entwickeln. Pilotstandort ist der Flughafen Lyon-Saint Exupéry.
Dass die Luftfahrt nur dann grüner werden kann, wenn die Flughäfen die entsprechende Infrastruktur zur Verfügung stellen, haben auch die Verantwortlichen am Groningen Airport Eelde früh erkannt. Dort ist mitten auf dem Gelände ein Solarpark mit mehr als 60.000 Panels entstanden, deren Stromertrag aktuell ins öffentliche Netz fließt. Weitere Solarmodule, die auf einer überdachten Passage platziert sind, erzeugen den vom Flughafen selbst benötigten Strom. Perspektivisch könnte die Sonnenenergie genutzt werden, um synthetisches Kerosin herzustellen oder E-Flugzeuge aufzuladen. Darüber hinaus setzt der Flughafen aktuell ein Projekt zur Erzeugung grünen Wasserstoffs um, mit dem künftig Bodengeräte versorgt werden sollen, die heute noch mit fossilen Brennstoffen betrieben werden. Der Groningen Airport sieht sich selbst als Testfeld und will zeigen, dass sich auch in einem herausfordernden Umfeld mit hohen Sicherheitsanforderungen nachhaltige Energie erzeugen lässt.
Prof. Rolf Henke (66) arbeitete viele Jahre bei Airbus und wechselte 2006 als Professor für Luft- und Raumfahrttechnik an die Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule (RWTH) Aachen. Von 2010 bis 2020 war er im Vorstand des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR), von 2013 bis 2021 außerdem Präsident der Deutschen Gesellschaft für Luft- und Raumfahrt (DGLR). Seit Februar 2021 ist er Luftfahrtkoordinator des Bundeslandes Bremen.
Dieses Engagement ist dringend nötig: Denn in der „Erklärung von Toulouse“ haben sich die Politik und die Luftfahrtindustrie Anfang 2022 zum Ziel gesetzt, den Luftverkehr in Europa bis 2050 zu dekarbonisieren und die Netto- CO₂-Emissionen auf null zu bringen. Eine einzelne allumfassende Lösung wird es dafür nicht geben: Davon ist Professor Rolf Henke überzeugt. „Vor einigen Jahren hat sich die Branche noch sehr auf das elektrische Fliegen fokussiert“, berichtet der Luftfahrtexperte. „Inzwischen haben sich mehr Alternativen aufgetan – und jede wird ihren Beitrag leisten und ihre Nische finden.“ Mit Blick auf das elektrische Fliegen erwartet Henke, dass die Batterien immer besser werden und noch in diesem Jahrzehnt erste kleine E-Flieger auf der Kurzstrecke an den Start gehen könnten. Für Flugzeuge mit Brennstoffzelle brauche es noch einige Jahre mehr. Am meisten Forschungsbedarf gebe es aufgrund der für die Speicherung benötigten Kryotanks beim direkten Wasserstoffantrieb sowie im Kraftstoffmanagement. „Bei der Reifmachung von Technologien, die derart viel am Flugzeug ändern, geht es vor allem darum, dass sich die Akteure über die generelle Richtung einig sind.“
Auch Henke betont, dass sich die schnellsten Fortschritte mit nachhaltigen Treibstoffen erreichen ließen – wenn sie denn in ausreichenden Mengen zur Verfügung stünden. „SAF werden sicher ein Teil der Lösung sein. Allerdings hat die globale Luftfahrt vor der Coronakrise eine Milliarde Liter Kerosin pro Tag gebraucht. Da müssten jetzt in gewaltigem Ausmaß Raffinerien für synthetische Kraftstoffe gebaut werden, um den Bedarf auch nur annähernd zu decken.“ Er gehe davon aus, dass in der Zukunft ein Werkzeugkasten mit unterschiedlichen Optionen zur Verfügung stehen werde: "Jedes Flugzeug bekommt dann den Antrieb und den Energiespeicher, den es für einen optimalen Betrieb braucht. Darauf müssen sich dann auch die Flughäfen mit einer entsprechenden Infrastruktur einstellen – und in einem Zwischenschritt erst einmal dafür sorgen, dass sie selbst klimaneutral werden."
Wie das am besten funktionieren kann, untersucht das DLR in den kommenden drei Jahren im Rahmen des Forschungsprojekts THOR, das eine Roadmap hin zu einem emissionsfreien Flughafen entwickeln und zugleich eine Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Industrie schaffen soll. „Auf dem Weg in eine grünere Zukunft sind die Flughäfen unterschiedlich weit“, berichtet Steffen Loth vom DLRInstitut für Flugführung. „Fakt ist: Es ist inzwischen überall im Bewusstsein angekommen, dass dieses Thema künftig eine noch größere Bedeutung haben wird.“ Was genau auf die einzelnen Flughäfen zukomme, lasse sich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht konkret sagen. „Die Luftfahrzeugseite erforscht gerade, welche Antriebsarten in Zukunft zum Einsatz kommen sollen. Wahrscheinlich werden von dort bestimmte Anforderungen an die Airports gestellt werden.“ Denkbar sei, dass sich Flughäfen mit ihrer Infrastruktur auf bestimmte Antriebsarten spezialisieren: „Es wird sich dann Schritt für Schritt und sehr flughafenspezifisch herauskristallisieren, wer was wie umsetzt.“
Porträt Steffen Loth Dipl.-Ing. Steffen Loth (51) hat an der Technischen Universität Berlin ein Studium in Luft- und Raumfahrttechnik abgeschlossen. Von 2003 bis 2005 arbeitete er bei der Gesellschaft für Luftverkehrsforschung, seit 2005 ist er am DLR-Institut für Flugführung in Braunschweig tätig. Dort war Loth seither Projektleiter in verschiedenen nationalen und europäischen Flughafenprojekten. Aktuell ist er Koordinator des Forschungsprojekts THOR.
Wie viel Energie wird wann und wo am komplexen System Flughafen benötigt? Was bedeutet das für die Infrastruktur und für die Betriebsprozesse bei der Abfertigung von Flugzeugen, Passagieren und Fracht? Welche Lösungen haben welches Einsparpotenzial und welche Wechselwirkungen? Noch gibt es auf all diese Fragen keine eindeutigen Antworten. „Wir brauchen ganzheitlich angelegte Projekte wie THOR, um da mehr Klarheit hineinzubekommen“, meint Steffen Loth. Darüber hinaus sei es wichtig, an Pilotstandorten theoretische Konzepte auf ihre Praxistauglichkeit zu überprüfen, wie es in Groningen und Lyon derzeit schon geschehe. Die Umsetzung von der Theorie in die Praxis ist auch für Professor Henke ein entscheidender Faktor, wenn die grüne Wende gelingen soll. „Egal, von welcher Antriebsart wir reden: Wir müssten viel mehr Reallabore haben und die neuen Technologien endlich testweise in die Luft bringen“, betont der Experte. Dafür brauche es den politischen Willen, schnellere Zulassungsverfahren und eine entsprechende Förderlandschaft. Henke: „Eine Luftfahrtagentur nach dem Vorbild der deutschen und europäischen Raumfahrtagentur wäre ein wichtiger Schritt, um gezielt Dinge nach vorn zu bringen. Wenn wir schnell weiterkommen wollen, müssen wir jetzt etwas anders machen."
In den letzten Jahrzehnten sind die Emissionen des Luftverkehrs pro Passagier und 100 km Strecke kontinuierlich gesunken. Die im Rahmen der DLR-Programme EXACT (Exploration of Electric Aircraft Concepts and Technologies) und KuuL (Klimafreundlicher ultra-effizienter Langstreckenflug) neu entwickelten Konzepte versprechen weitere Einsparungen. Klares Ziel des DLR ist die emissionsfreie Luftfahrt. © DLR, Gruppe für Gestaltung GmbH / Dustin Schröder
Autor: Anne-Katrin Wehrmann