Nahrung aus fermentiertem CO₂
Nachhaltigkeit
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Das finnische Unternehmen Solar Foods hat ein Protein entwickelt, das von Mikroorganismen aus Wasserstoff und Kohlendioxid hergestellt wird. Dieses sogenannte Solein könnte überall auf der Welt produziert werden, dabei das Klima positiv beeinflussen und gleichzeitig unsere Ernährung nur unwesentlich verändern. Einer der Gründer gibt Einblicke in eine Vision, die ein völlig neues Lebensmittel verspricht.
Ein Drittel aller globalen Treibhausgase ist auf die Produktion von Lebensmitteln zurückzuführen – 80 % davon durch die Fleisch- und Milchindustrie. Dieser Anteil ist so gewaltig, dass eine Verfehlung
des 1,5-Grad-Ziels droht – selbst dann, wenn alle anderen Emissionen schlagartig auf null reduziert würden. Diese Erkenntnis spornte die Wissenschaftler Dr. Pasi Vainikka und Dr. Juha-Pekka Pitkänen vom Technischen Forschungszentrum Finnland an. Vainikka forscht seit Jahren zum Thema Erneuerbare Energien, Pitkänen zu den Möglichkeiten von Fermentationsprozessen. Sie beschlossen, ihr Wissen zusammenzubringen und die Probleme der Lebensmittelindustrie an der Wurzel zu packen. Die beiden Experten fragten sich, wie sie klimaschädliches CO₂ mithilfe von Strom zu etwas Klima-Positivem machen können und fanden eine Lösung: ein Protein namens Solein, gewonnen aus fermentiertem CO₂. Mit ihrem Unternehmen Solar Foods verfolgen die finnischen Wissenschaftler das ehrgeizige Ziel, Nahrung ressourcenschonend zu produzieren – im Einklang mit der Natur oder sogar inmitten lebensfeindlicher Landschaften.
Fermentierung ist ein Prozess, der schon im alten Ägypten für die Herstellung von Wein genutzt wurde. Hierbei verarbeiten Hefepilze den Zucker aus Traubensaft zu Kohlenstoff, aus dem sie dann Alkohol produzieren. „Wir lassen unsere Mikroorganismen hingegen in Wasser arbeiten“, erklärt Dr. Vainikka. „Anstelle von Zucker mit Wasserstoff als Energiequelle und mit Kohlendioxid.“ Die Organismen wandeln den Wasserstoff und das Kohlendioxid in Wasser und Kohlenstoff um, so wie es auch Pflanzen bei der Photosynthese tun. „Auf diese Weise wachsen unsere speziellen Mikroorganismen und vermehren sich.“ Ein großer Vorteil liegt darin, wie schlicht der Herstellungsprozess ist. „Fermentation ist nicht an bestimmte klimatische Bedingungen gebunden“, sagt Dr. Vainikka. „Deswegen kann Solein überall produziert werden – auch in der Wüste.“ CO₂ reagiert schlecht mit anderen Stoffen und ist wie Wasserstoff flüchtig, verdampft also schnell. Daher braucht es spezielles Equipment: „Wir nutzen einen geschlossenen Tank als Bioreaktor, um ein Gas-Flüssigkeitsgemisch zu erreichen, das die Reaktion in Gang bringt.“
Solein besteht größtenteils aus Protein und teilweise gesättigten Fettsäuren. Optisch erinnert es an ein mehlartiges, gelbes Pulver mit leichtem Umami-Geschmack – also herzhaft-würzig bis fleischig. Solein lässt sich so einfach wie Soja verarbeiten, als Fleischersatzprodukt oder für Proteindrinks. „Im Prinzip kann es da verwendet werden, wo bisher Milch oder Fleisch zum Einsatz kamen“, erklärt Dr. Vainikka. „Aber auch in Suppen, Ei-Ersatz in Nudeln, in Aufstrichen und Mayonnaise.“ Perspektivisch könnte Solein auch als Grundstoff für InVitro-Fleisch dienen. Außerdem ist es eine spannende Option für die Raumfahrt, vor allem mit Blick auf eine Marslandung: Denn in der dortigen Atmosphäre lassen sich herkömmliche Pflanzen nicht ohne weiteres anbauen – Solein jedoch vermutlich schon.
Bevor die Wissenschaftler die Mikroorganismen fanden, die sie heute zur SoleinHerstellung nutzen, durchliefen sie einen systematischen Screening-Prozess. Sie gingen in die Natur, um Proben von Böden zu nehmen und suchten nach passenden Mikroorganismen nach dem „trial and error“-Prinzip. Nach der ersten erfolgreichen Solein-Produktion mussten Dr. Vainikka und Dr. Pitkänen zudem belegen, dass es als Lebensmittel geeignet ist. „Wir haben zwei Jahre und über 1,5 Mio. € investiert, um zu beweisen, dass Solein ein sicheres Lebensmittel ist. Jetzt hat Solein alle Tests bestanden“, sagt Dr. Vainikka. „Ich habe mich selbst auf SoleinBasis ernährt. Außerdem haben wir regelmäßig Presseleute oder Investor:innen zu Besuch, für die wir Essen mit Solein zubereiten.“
Dr. Pasi Vainikka (45) hat einen Master in Energie-systemen, einen weiteren in Energiewirtschaft und einen Doktor inProzesschemie. Er ist außer ordentlicherProfessor an der Lappeenranta Universityof Technology und war leitender Wissenschaftler am Technischen Forschungs-zentrum Finnlands. Neben Solar Foodsarbeitet Vainikka unter anderem an einerPilotanlage zur Herstellung von Treibstoffaus Luft.
Das Unternehmen setzt dabei auf interdisziplinäre Zusammenarbeit: „Wir verwenden Wasserstoff – wie in der Petrolchemie. Wir nutzen die Fermentation – wie bei der Weinherstellung“, zählt Dr. Vainikka auf. „Außerdem bauen wir Texturen, wie sie in der konventionellen Nahrung zu finden sind.“ Solar Foods ist zwar eine Lebensmittelfirma, sieht sich aber in erster Linie als Cleantech-Unternehmen: „Wir benötigen nur etwa ein Zehntel der Fläche einer Pflanze, die Photosynthese betreibt und sogar nur ein Prozent der Fläche, die es braucht, um Fleisch zu produzieren“, berichtet der Finne. Diese Rechnung umfasse auch die Fläche der Stromproduktion, die für diese Nahrung benötigt werde. Solein könnte auch als Alternative für bisherige Tierhaltung dienen. Pflanzenbasierte Landwirtschaft bliebe erhalten, bisherige Fleischproduzierende könnten jedoch umsatteln. „Wir erwarten gar nicht, dass Endverbrauchende ihr Verhalten verändern“, erklärt Dr. Vainikka. „Die Menschen brauchen keine Kompromisse zu machen.“ Dabei ist Solein natürlich nicht vollständig mit Tierfleisch vergleichbar. Allerdings könnten hiermit viele der bisherigen Endprodukte erhalten bleiben – nur der Herstellungsprozess wäre wesentlich umweltfreundlicher, auch gegenüber beispielsweise Soja. Bereits heute ist der Preis von Solein mit fünf bis zehn € pro kg signifikant niedriger als der von Fleisch. Damit liegt es im Vergleich zu anderen ProteinNährstoffen im Mittelfeld.
„Ich selbst bin Flexitarier“, so der 45-Jährige. „Aber das bin ich nicht aus einem idealistischen Aspekt, etwa weil ich Fleischkonsum per se falsch finde. Das hat sich eher natürlich ergeben.“ Sich vom Fleischessen zu lösen, sei auch eine Generationenfrage: „Für meine Eltern ist rotes Fleisch ein Statussymbol. Für meine Tochter hingegen ist es etwas, was man nicht auf Social Media postet. Ich bin irgendwo zwischen diesen Realitäten. Wenn ich später mal in meinem Schaukelstuhl sitze und meine Enkelkinder in meinem Kühlschrank Fleisch sehen, werden sie das komisch finden – weil Solein dann das neue Normal sein könnte.“ Zurzeit baut das Unternehmen seine erste Fabrik, um zu zeigen, dass die Produktion auch in großen Mengen funktioniert. Schätzungsweise 2023 soll Solein im Handel verfügbar sein. Wer sich demnächst in der Nähe von Helsinki aufhält, hat die Möglichkeit, sich im Showroom die Produktion von Solein anzusehen und die Produkte zu kosten. „Wir möchten die Menschen ermutigen, zu probieren“, wünscht sich Dr. Vainikka. „Sie sollen dann entscheiden, ob Solein etwas ist, was sie in ihre alltägliche Ernährung integrieren möchten.“
Fotos: © Solar Foods
Autor: Fränze Kellig