Wer hochpräzise optische Bauelemente etwa für die Messtechnik, die Halbleitertechnik oder die Medizintechnik braucht, kommt an der SwissOptic AG in Heerbrugg im Schweizer Kanton St. Gallen kaum vorbei. Hier entwickelt die Physikerin und Brunel Mitarbeiterin Dr. Sina Lippert seit Anfang des Jahres optische Präzisionsmesstechniken und Kalibrierverfahren.

Mitten im Reinraum der Klasse ISO 5 der Heerbrugger Feinoptikfirma SwissOptic AG, einem OEM-Lieferanten für Industriezweige, die Hochleistungsoptiken und optomechanische Baugruppen benötigen, steht Dr. Sina Lippert mit Reinraumanzug samt Kopfbedeckung und Handschuhen. Schließlich darf laut ISO-Norm in der Klasse 5 ein Kubikmeter Luft im Reinraum höchstens 830 Partikel mit einem Durchmesser von ca. 1 µm (0,001 mm) und keine Partikel mit größeren Durchmessern enthalten, um unerwünschte Verschmutzungen oder Reaktionen auf der Oberfläche von optischen Bauelementen zu verhindern. Und eben diese prüft Dr. Lippert.

Die Bandbreite an kundenspezifischen Lösungen bei SwissOptic ist groß. Zum Beispiel werden Optiken für die Medizintechnik oder für die Halbleiterproduktion geordert. „Entsprechend unterschiedlich sind die Anforderungen an die Optiken und die Abbildungsfehler“, erklärt Lippert. Daher werden für jeden Auftrag die Verfahren zur Herstellung der Prototypen und des Endprodukts angepasst und alle Prüf- und Kalibrierverfahren individuell entwickelt und optimiert.

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Porträt Sina Lippert

Dr. Sina Lippert (31) studierte von 2006 bis 2012 Physik in Marburg und promovierte dort anschließend bis 2017. Seit 2018 ist die gebürtige Gießenerin, deren Vater ebenfalls Physiker ist, bei SwissOptic in der Schweiz im Einsatz.

Dennoch: Ein optisches System ohne jeden Abbildungsfehler kann es nicht geben – schließlich resultieren diese Abweichungen von der idealen optischen Abbildung aus den mathematischen Abbildungsgesetzen. Dazu kommen technisch bedingte Fehler wie Abweichungen vom Idealmaß oder von den Idealeigenschaften des Materials. Wie winzig die Aberrationen sein können, die Sina
Lippert auf den Bauteilen erkennen muss, veranschaulicht das Beispiel der Rauheit einer optischen Oberfläche, deren Güte mithilfe des RMS-Werts (Root Mean Square) beurteilt wird. Hierzu wird die Oberfläche an vielen Punkten vermessen und daraus die Standardabweichung von der idealen Form berechnet. „Bei Planoptiken erreichen wir eine RMS-Rauheit von 0,15 nm. Das ist etwa der Durchmesser eines Kohlenstoffatoms. Würden wir eine Glasplatte von 10 cm Durchmesser auf die Größe der Erde skalieren, würde eine solche Rauheit Höhenunterschieden von nur 2 cm entsprechen. Der Höhenunterschied zwischen München und Zürich wäre kleiner als der Durchmesser eines Zweifrankenstücks“, erläutert die promovierte Physikerin.

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Wie aber detektiert man eine Verformung in der Wellenfront, die durch eine Unebenheit ausgelöst wird? „Grundsätzlich gibt es zwei Verfahren, mit denen man Abbildungsfehler in Optiken detektieren kann, die ich beide in meinem Arbeitsalltag anwende: Die Wellenfrontmessung und die Interferometrie“, so Lippert. Bei einer Wellenfrontmessung werden Abweichungen von einer ebenen Wellenfront mit einem Hartmann-ShackSensor vermessen. Dieser besteht aus einer Glasplatte mit regelmäßig angeordneten Mikrolinsen. Jede liefert einen Bildpunkt, der mit einem Detektor erfasst wird. Bei vollkommen ebener Wellenfront haben alle Punkte den gleichen Abstand zueinander. Ein Abbildungsfehler jedoch führt zur Verschiebung einiger Punkte. Durch Vermessen der Punktabstände können winzige Abbildungsfehler eines optischen Bauelements bestimmt werden.

Die Prüftechniken der Interferometrie nutzen das Phänomen der Interferenz, das auf dem Wellencharakter des Lichts beruht: Überlagern sich zwei Lichtwellen, können Wellenberge (oder -täler) zusammenfallen und sich verstärken – es können sich aber auch ein Wellenberg und ein -tal überlagern und sich gegenseitig auslöschen. Im ersten Fall spricht man von konstruktiver, im zweiten von destruktiver Interferenz. Lippert erklärt: „In der optischen Messtechnik nutzen wir je nach Aufgabe verschiedene geometrische Interferometer-Aufbauten. Ihnen gemein ist, dass ein Lichtstrahl in zwei oder mehr identische Teilstrahlen aufgespalten wird. Diese durchlaufen verschiedene Wegstrecken, werden an Referenz-Spiegeln und dem zu untersuchenden Bauteil reflektiert und die wieder vereinten Strahlen auf einen Detektor gelenkt, auf dem sich dann das durch konstruktive und destruktive Interferenzen entstehende Interferenzmuster zeigt.“ Jede Veränderung der Strahleigenschaft infolge eines Abbildungsfehlers ist im Interferenzmuster erkennbar. Neu ist der Umgang mit Linsen oder Strahlteilern für Sina Lippert nicht. In ihrer Dissertation an der Philipps-Universität Marburg untersuchte sie die Photolumineszenz von 2D-Materialien. Für diese Experimente musste sie optische Abbildungssysteme wie spektroskopische Systeme aufbauen, nutzen und programmieren. Lippert vergleicht: „Das Spannende an meinem ersten Job in der Industrie sind die extremen Qualitätsanforderungen, unter denen hier optische Produkte hergestellt werden.“

Pendeln zwischen Labor und Schreibtisch 

Die Messtechnikentwicklung, in der Sina Lippert nun arbeitet, begleitet die Produktentwicklung vom ersten Konzept bis zur Serienreife. Jeder Mitarbeiter ist für einen Kundenauftrag verantwortlich. Eines der Projekte, an denen Lippert gerade arbeitet, ist die Entwicklung der Strahlführung für einen Augenlaser. Damit der Operateur den Laserspot mit der richtigen Intensität und Ausdehnung an die richtigen Stellen positionieren kann, müssen zwei Bedingungen erfüllt sein: Die Laseroptik muss den Laserstrahl präzise führen und das mechanische Verfahrsystem muss auf Bruchteile eines Millimeters genau positionierbar sein. „Am Anfang eines jeden Projekts gilt es, die Vorstellungen der Kunden zu verstehen und auf Machbarkeit zu überprüfen. Dann werden technische Realisierungen vorgeschlagen, Prototypen hergestellt und diese messtechnisch spezifziert. Erfüllt der Prototyp die Kundenerwartungen, begleiten wir die Volumenproduktion, um eine gleichbleibend hohe Qualität sicherzustellen.“ Dabei kommt es vor, dass ein standardisiertes Messverfahren an eine neue Aufgabe angepasst oder neu konzipiert und im Labor erprobt werden muss. Zur Auswertung der Messungen ist in manchen Fällen die Programmierung einer angepassten Software nötig. Um die optimale Lösung zu fnden, ist die ständige Abstimmung mit den Entwicklungs-, Konstruktions- und Fertigungsabteilungen erforderlich. Die Vielfalt ihrer Aufgaben verlangt es, dass Lippert zwischen PC-Arbeitsplatz, Meeting-Räumen, optischen und feinmechanischen Labors und Reinraumlabors pendelt. „Kein Projekt ist wie das andere. Zudem proftiere ich vom ständigen Erfahrungsaustausch mit den Kollegen in der Messtechnik“, fasst Lippert zusammen, die in der optischen Forschung und Entwicklung das für sie optimale Betätigungsfeld gefunden hat.
 

 

Text: Dr. Ralf Schrank
Fotografie Copyrights: GfG / Gruppe für Gestaltung

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