Digitale Transformation und Remote Leadership: Die Corona-Pandemie und ihre Folgen für die Arbeitswelt
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Für viele hat sich der Arbeitsalltag in den vergangenen Wochen und Monaten stark geändert. „Eine Herausforderung und Chance zugleich“, sagt Dr. Jutta Rump. Als Expertin für Personalmanagement und Organisationsentwicklung berät sie zahlreiche Unternehmen und Institutionen und zählt zu den acht wichtigsten Professoren für Personalmanagement im deutschsprachigen Raum*. Im folgenden Interview zeigt sie uns auf, wie Deutschland gestärkt aus der Pandemie hervorgehen kann – und wie Arbeitnehmer jetzt das Mindset eines Unternehmens erkennen können.
Professorin für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Internationales Personalmanagement und Organisationsentwicklung an der Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft Ludwigshafen
Für New Work gibt es eine ganz klare Definition: Mit dem Begriff ist zeit- und ortsflexibles Arbeiten mit einem hohen Maß an Partizipation und Delegation gemeint. Hierarchien verschwinden, was unter anderem in offeneren Raumkonzepten für Büros augenscheinlich wird. Ein entscheidender Punkt von New Work ist das sinnstiftende Element, also der Purpose-Gedanke: New Work heißt, einen Sinn in seiner Arbeit zu sehen und sich mit ihr zu identifizieren.
Die Corona-Krise stellt Unternehmen vor massive Herausforderungen: Umsätze brechen ein, klassische Geschäftsmodelle müssen neu gedacht werden, analoge Zusammenarbeit ist nur unter massiven Arbeitsschutz-Auflagen und durch mitunter kreative Home-Office-Lösungen möglich. Führung stellt dabei einen wichtigen Erfolgsfaktor dar, um Organisationen durch die Krise zu steuern. Dabei kann man aktuell eine vermehrte Rückkehr zum klassischen hierarchischen Modell beobachten. Die Gründe sind vielfältig. Da die finanziellen Möglichkeiten in und nach der Corona-Krise eingeschränkt sind, erstellen viele Unternehmen Prioritätenlisten. Technik, Geschäftsmodell, Anpassung der Wertschöpfungsketten, Anpassung der Kompetenzen und Qualifikationen der Beschäftigten stehen oben auf der Liste. New Work, Experimentierräume, agile Arbeits- und Organisationsformen und Sinnstiftung durch Arbeit scheinen eher weniger dazu zu gehören. Als Argumente werden nicht selten der organisatorische Aufwand, der Zeitbedarf sowie die hohe Ergebnisvariabilität herangezogen. Die Rückkehr zu klassischen hierarchischen Führungsformen kann durchaus dort sinnvoll erscheinen, wo ein Unternehmen im Krisenmodus steckt, schnelle Entscheidungen und Prioritäten erforderlich sind und Unsicherheit reduziert werden muss. Die Resilienz von Unternehmen zeichnet sich jedoch auch dadurch aus, dass Beschäftigte sich eines Risikos bewusst sind und selbstständig zur Risikominimierung beitragen. Wenn ein Betrieb sich also in einer schwierigen Lage befindet, spricht dies zumindest dafür, Mitarbeiter so gut es geht einzubinden, um sie zum aktiven Part der Krisenbewältigung zu machen, ihr Potential und ihre Motivation zu nutzen, und so die Widerstandsfähigkeit der Organisation nachhaltig zu stärken.
Sie sollten auf das achten, was ihnen vorher auch schon wichtig war: Etwa Work-Life-Balance, persönliches Entwicklungspotenzial, die Unternehmenskultur. Sicher dreht sich der Arbeitsmarkt gerade und Arbeitgeber erhalten wieder eine stärkere Position. Dies ist aber nur ein mittelfristiger Effekt: Schon in wenigen Jahren werden wir wieder einen Mangel an qualifizierten Fachkräften – gerade auch im technischen Bereich – haben. Daher ist mein Ratschlag an Arbeitnehmer: Schauen Sie darauf, ob ein Unternehmen auch in schweren Zeiten wertschätzend mit seinen Mitarbeitern umgeht, ob die Führungskräfte nach vorne blicken, strategisch nach Wegen aus einer schwierigen Phase suchen und hierzu offen innerhalb des Betriebs kommunizieren. Man sagt, der Charakter eines Menschen offenbart sich in der Krise. Gleiches gilt auch für Unternehmen – nur sprechen wir hier nicht vom Charakter, sondern vom Mindset.
Auch wenn der Arbeitsmarkt aktuell schwierig ist: Die genannten Berufsgruppen bleiben auch weiterhin gefragt. Denn die vergangenen Wochen haben die digitale Transformation, für die diese Berufe essenziell sind, stark vorangetrieben. Um es ganz deutlich zu sagen: Da ist nun weltweit ordentlich Druck auf dem Kessel. Die Corona-Pandemie sorgt dafür, dass die Karten im Wettbewerb um den Sieger der digitalen Transformation neu gemischt werden. Deutschland galt hier lange als abgehängt, ist nun aber wieder im Rennen und sehr gut dabei: Denn es ist eines unserer Kulturmerkmale, dass wir in schweren Zeiten zusammenhalten, fokussiert sind, Chancen sehen und nutzen. Entsprechend arbeiten Politik und Wirtschaft derzeit hart daran, die Digitalisierung mit all ihren Facetten zu gestalten. Und dies kann nur mit gut ausgebildeten Experten gelingen.
Ganz eindeutig: Ja. Die Pandemie hat die Entwicklung hin zu mehr Digitalisierung gerade auch in der Arbeitswelt massiv beschleunigt. Um diese Geschwindigkeit weiter beizubehalten, müssen jetzt die Weichen gestellt und seitens der Unternehmen –unterstützt von der Politik – Berufsgruppen weiterqualifiziert werden, die auf dem aktuellen Arbeitsmarkt Probleme haben. Dann können sie bald ihren Teil zum Wandel beitragen und somit ihre Arbeitsplätze sichern können. Das Potenzial hierzu – also der Wille, sich weiterzubilden – ist aus meiner Sicht bei vielen Arbeitnehmern vorhanden. Nun ist eine Allianz zwischen Wirtschaft und Politik nötig, um dieses Leistungsvermögen voll auszuschöpfen.
Trotz allem, was gerade passiert, müssen wir realistisch bleiben. Beispielsweise wird uns neben dem Fachkräftemangel auch der demografische Wandel weiterhin begleiten. Daher wünsche ich mir, dass die Personalentwicklung künftig die Gesundheit von Arbeitnehmern stärker in den Blick nimmt. Es wird immer mehr ältere Mitarbeiter geben, deren Gesundheit etwa durch das optimale Ausnutzen technischer Möglichkeiten – sei es durch den Einsatz von Robotik oder KI für Routinetätigkeiten – lange erhalten werden kann. Grundsätzlich gilt: Mithilfe technischer Unterstützung können die Menschen stärkenorientiert arbeiten, Jung und Alt können voneinander profitieren, sich austauschen, Wissen teilen. Grundlegend hierfür ist natürlich auch eine höhere Toleranz füreinander, gerade auch vor dem Hintergrund der Globalisierung. Denn künftig wird es noch mehr internationale Teams und grenzüberschreitendes Arbeiten geben. In der idealen Arbeitswelt 2030 können also alle Arbeitnehmer unterstützt von modernen Technologien arbeiten und dabei ihre kulturelle und persönliche Individualität entfalten. Das ist auch gesellschaftsrelevant – und Unternehmen sind immer auch ein Spiegel der Gesellschaft.