Watkins' Wahrheiten - Vorhersagen über die Zukunft
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„Ein Experte ist ein Mann, der hinterher genau sagen kann, warum seine Prognose nicht gestimmt hat“, witzelte einst der Politiker Winston Churchill. Denn er wusste: Vorhersagen über die Zukunft sind eine komplexe Angelegenheit. Umso erstaunlicher mutet John Elfreth Watkins Jr. an. Der relativ unbekannte US-amerikanische Bauingenieur und Schriftsteller veröffentlichte im Jahr 1900 einen Artikel zum Leben in 100 Jahren. Darin prophezeite er erstaunlich viele Entwicklungen, die heute in ähnlicher Form existieren, seinen damaligen Lesern aber unvorstellbar erschienen.
Autos werden günstiger sein als Pferde, prognostizierte Watkins und behielt damit recht. Denn wird beim damaligen Preis von etwa 250 US-$ die Inflation berücksichtigt, würde ein Pferd heute über 6.400 US-$ kosten – heutzutage ein günstiger Gebrauchtwagen. Zudem erahnte er motorisierte Krankenwagen, Polizeiautos und Landwirtschaftsmaschinen mit vielfacher Pferdestärke.
Der Fernsprechapparat war um 1900 noch nicht flächendeckend verbreitet, da sah Watkins bereits das Mobiltelefon vorher. So könne ein Mann mitten im Atlantik schnurlos mit seiner Frau zu Hause in Chicago plaudern. Auch Gespräche gen China würden ihm zufolge problemlos und ohne die damals übliche Vermittlung durch Telefonistinnen funktionieren.
Unabhängig von der Sonne werde Gemüseanbau dank elektrischem Licht und „großer Gärten unter Glas“ auch im Winter oder bei Nacht möglich. Trauben und Melonen würden kernlos, überdimensionale Zuchtsorten Normalität sein. Auch wenn die apfelgroße Erdbeere, von der Watkins träumte, noch etwas auf sich warten lässt, ermöglicht die moderne Gentechnik fraglos viele Variationen.
Warme oder kalte Luft werde wie Strom oder Gas bei Bedarf aus Hahnventilen zugeführt, um die Temperatur innerhalb eines Hauses oder Autos zu regulieren. Das Feuer für den Ofen entfachen zu müssen, gehöre damit der Vergangenheit an. Mit riesigen Kühlschränken ausgestattete Transporter würden zudem innerhalb weniger Tage köstliche Früchte aus den Tropen bringen.
Watkins glaubte daran, dass farbechte Fotos auf telegrafischem Weg über weite Distanzen übertragen werden. Eine Fotografie, die beispielsweise während einer Schlacht in China gemacht wird, wäre bereits eine Stunde später in einem anderen Teil der Welt in der Zeitung zu finden. Dies zu einer Zeit, in der sich unter Datenübertragung noch niemand etwas vorstellen konnte und selbst Schwarz-Weiß-Fotos schon ein Fortschritt waren.
Der Artikel beschreibt autofreie und geräuscharme Städte, da der Verkehr weit ober- oder unterhalb des Erdbodens verläuft. Zwar sieht die heutige Realität noch anders aus, doch City- Fußgängerzonen, U-Bahnen und Mobilitätskonzepte für fliegende Passagiertaxis gibt es bereits. Bewegliche Bürgersteigtreppen im Freien, die laut Watkins zu oberen Verkehrsebenen führen, sind hingegen die Ausnahme wie etwa im kolumbianischen Medellín, wo Bürger so die höher gelegenen Armenviertel erreichen können.
Watkins war sich der künftigen Kohleknappheit bewusst: Die Restbestände würden nicht mehr zum Heizen oder Kochen verwendet, sondern die Menschheit würde die Wasserkraft als günstigere Stromquelle entdecken. Jeder Fluss oder Stausee mit einem Wasserfall solle mit Motoren und Dynamos versehen sein, um Wärme, Licht oder Treibstoff zu erzeugen. Obwohl Watkins den schrittweisen Kohleausstieg damit prophezeite, überschätzte er das Potenzial der Wasserenergie.
Sogar über Ultraschall und MRT machte er sich Gedanken: So würden „Mikroskope die Organe durch das lebende Fleisch von Mensch und Tier offenlegen“. Der lebende Körper würde mittels Strahlen unsichtbaren Lichts transparent. Ein schlagendes Herz könne so beliebig herangezoomt und fotografiert werden.