Hightech-Kleidung für Satelliten
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Das schweizerische Raumfahrtunternehmen RUAG Space entwickelt Spitzentechnologien, die zum Erfolg vieler amerikanischer und europäischer Weltraumprogramme beitragen. Die Schweizer setzen dabei auf einen Mix aus erfahrenen Spezialisten und jungen Talenten – wie den 27-jährigen Maschinenbauingenieur und Brunel Mitarbeiter Christian Vogt.
17 m hoch und einige 100 kg schwer ist die nach oben spitz zulaufende Form aus Aluminium-Waben, die mit Deckschichten aus carbonfaserverstärktem Kunststoff stabilisiert wird. In einer Testhalle mit den Innenmaßen eines Doms wird die eine Hälfte der Form gleich mehr als 10 m durch die Luft geschleudert, wobei eine Hochgeschwindigkeitskamera die Flugbahn aufzeichnen wird. Es handelt sich hier um die Nutzlastverkleidung einer Ariane 5. Bis zu 6,8 t bringt die Trägerrakete der ESA in den geostationären Orbit. Mehr als 200 m³ nutzbares Volumen stehen unter der schützenden Hülle zur Verfügung.
Was man an der Spitze einer startenden Trägerrakete sieht, ist nicht die Nutzlast selbst, also hochempfindliche Satelliten und Raumsonden, sondern eine aerodynamische Verkleidung, deren Abmessungen durch die Rakete vorgegeben sind und die vielerlei Zwecke hat: Auf der Startrampe schützt die Verkleidung, in die gereinigte und klimatisierte Luft geblasen wird, vor Wind, Wetter
und Staub. In Bodennähe dämpft sie den extremen Lärmpegel der Raketenmotoren. Während des Überschallflugs in der Atmosphäre schließlich reduziert sie durch ihre ogive Form den Luftwiderstand und schützt die Nutzlast vor der Reibungshitze. Außerhalb der dichteren Atmosphäre, in einer Höhe von 100 bis 120 km, wird die Hülle, die aus zwei Hälften besteht, getrennt und die beiden Teile von Nutzlast und Raketenoberstufe separiert und abgeworfen.
Einer der weltweit führenden Hersteller von Nutzlastverkleidungen ist die RUAG Space, ein Geschäftsbereich des staatlichen schweizerischen Technologiekonzerns RUAG. Seit einem Jahr arbeitet Christian Vogt in der zwölfköpfigen Testabteilung des Weltraumunternehmens. „Die enormen Kräfte, die auf eine Nutzlastverkleidung wirken, sind für mich als Maschinenbauer schon ungewöhnlich“, kommentiert Testingenieur Vogt, „gerade dieses Nichtalltägliche begeistert mich an der Raumfahrttechnik.“ Besonders kritisch ist die Separation der Verkleidung, weil sie noch während der Beschleunigung bei sehr hoher Geschwindigkeit stattfindet. Eine falsche Bewegung der Verkleidung, ein Schwingen oder Schlingern, kann die empfindlichen Satelliten oder die Raketenoberstufe beschädigen. „Deshalb testen wir nicht nur die mechanischen und strukturellen Eigenschaften der Verkleidung, sondern simulieren vor allem auch die Separation unter möglichst realistischen Bedingungen“, erläutert Vogt. Tatsächlich sind bereits Raumfahrtmissionen aufgrund einer fehlerhaften Ablösung der Nutzlastverkleidung gescheitert. „Allerdings keine Mission, an der RUAG Space beteiligt war“, betont der Brunel Spezialist.
Die Begeisterung, mit der der junge Maschinenbauer seinen ersten Job direkt nach dem Studium ausfüllt, ist offensichtlich: „Schon während des Studiums haben mich die besonderen Ansprüche fasziniert, die die Raumfahrt an Materialien und Systeme stellt.“ Stolz ist er auch darauf, dass RUAG und Brunel ihm als jungen Absolventen gleich derart vielseitige und verantwortungsvolle Aufgaben übertragen haben. Aber Christian Vogt ist gut vorbereitet. Auf die Inhalte seiner Studienfächer Materialeigenschaften und Materialprüfung kann er jetzt erfolgreich zurückgreifen, und beim Erarbeiten von Spezialwissen helfen ihm die neuen Kollegen.
Gerade befestigt er eine 6 m lange, von RUAG Space neu entwickelte Nutzlastverkleidung in einem haushohen 10 ×10 ×13 m großen Prüfstand, den gewaltige Stahlträger stabilisieren. Seine Aufgabe ist, die mechanische Belastbarkeit der Wabenstruktur bei senkrechter und seitlicher Krafteinwirkung sowie bei Verbiegung zu messen. Bis zu 2.200 kN wirken auf den Prüfling – in etwa die Antriebskraft von drei großen Diesellokomotiven. Die Verkleidung soll die Nutzlast der kleinen Ariane-Schwester Vega-C schützen, einer vierstufigen Trägerrakete für kleine Satelliten. Vogt testet die neue VegaC-Verkleidung in enger Abstimmung mit der Entwicklungsabteilung in Emmen im Kanton Luzern: „Die Testergebnisse sind hervorragend. Das heißt: Wir werden fristgerecht und unter Einhaltung aller Spezifikationen ausliefern.“
In einem sehr viel früheren Stadium ist das jüngste Projekt für die ESA, an dem Christian Vogt beteiligt ist: die Entwicklung eines innovativen Trennmechanismus für Nutzlastverkleidungen. Bislang werden die Nähte pyrotechnisch mithilfe von Sprengschnüren abgetrennt. Allerdings ist das für die Nutzlast ein erheblicher Schock. Entwicklungsziel ist ein sanfter Mechanismus, der eine langsame und kontrollierte Trennung ermöglicht. Dazu entwirft RUAG Space Gasdruck-Aktuatoren, die auf ein elektrisches Signal hin die Verriegelungen der Verkleidungshälften lösen und die Halbschalen auseinanderdrücken. „Diese Separationstechnik ist nicht nur sicherer, sondern auch kostengünstiger – und die Aktuatoren können vor dem Start auf korrekte Funktion geprüft werden“, erläutert Vogt. Im Rahmen dieses Projekts müssen vor allem Worst-Case-Szenarien abgearbeitet werden. Anhand von experimentellen Daten soll Vogt Computersimulationen des Separationsvorgangs optimieren und somit etwa klären, wie sich Änderungen der Umgebungstemperatur auf den Druck im Aktuator und damit auf seine Funktion auswirken. Ein anderes Szenario wird den Ausfall eines Aktuators simulieren: Obligatorisch sollen zwei Aktuatoren die kontrollierte Separation auslösen, im schlimmsten Fall muss auch ein Aktuator ausreichen.
Vor dem jungen Maschinenbauer, der auf jeden Fall in der Raumfahrttechnik bleiben will, liegen spannende Aufgaben. „Natürlich sind die geplanten großen bemannten Missionen zum Mond und zum Mars faszinierende Projekte“, sagt er. „Allerdings spielen die dabei anfallenden extremen Kosten eine immer zentralere Rolle, die bei der Entwicklung natürlich berücksichtigt werden müssen. Die Zukunft machbarer Raumfahrt sieht Christian Vogt ohnehin eher bei der Entwicklung immer kleinerer Satelliten, die die Kosten für Orbitalaktivitäten wie Wetterbeobachtung, Kommunikation, Navigation und vieles andere drastisch reduzieren können. „Daran mitzuwirken, wäre schon eine tolle Herausforderung für mich“, meint der Brunel Experte.
Text: Dr. Ralf Schrank