ELT - das größte Auge der Welt
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In der chilenischen Atacamawüste entsteht derzeit ein Teleskop der Superlative, das die Grenzen des technisch Machbaren ausreizt. Mit einem Fehler von weniger als zwei Nanometern sollen die Segmente des Teleskopspiegels positionierbar sein – eine Herausforderung an Stellmechanik und Steuerelektronik. Brunel Mitarbeiter und Embedded-Software-Spezialist Michael Pangrate war Mitglied des Entwicklungsteams.
Michael Pangrate
Michael Pangrate (59) studierte Ingenieurwesen und danach Informatik in Nürnberg. Nach seinem Abschluss als Ingenieur/ Technikinformatiker war er bei verschiedenen Unternehmen als Software Entwicklungsingenieur tätig. Seit 2015 arbeitet er bei Brunel.
Die Projektverantwortlichen wagen einen großen Vergleich: „Das Extremely Large Telescope (ELT) wird unsere Wahrnehmung des Universums revolutionieren, so wie es Galileos Teleskop vor 400 Jahren getan hat“. Die geplanten Eigenschaften des Teleskops sind beeindruckend und werden das astrophysikalische Wissen fundamental erweitern: Das ELT wird 100 Mio. mal mehr Licht sammeln als das menschliche Auge und 13-mal mehr als jedes andere erdgebundene Teleskop. Mit diesem Können soll mithilfe des ELT nach Exoplaneten und den ersten Galaxien im Universum gesucht, supermassive Schwarze Löcher untersucht und die Natur der dunklen Materie sowie der dunklen Energie erforscht werden.
Entwickler des ELT ist die ESO, die Europäische Südsternwarte (European Southern Observatory). Sie wurde 1962 von Belgien, Deutschland, Frankreich, den Niederlanden und Schweden gegründet, um europäischen Astronomen einen Zugang zum südlichen Sternenhimmel zu verschaffen. 2012 beschloss die ESO den Bau des rund 1,1 Mrd. Euro teuren ELT auf dem 3.046 m hohen Berg Cerro Armazones. 2025 soll das ELT seine Arbeit aufnehmen – mit einem Hauptspiegel mit 39 m Durchmesser und einer Lichtsammelfläche von 978 m² wird es das weltweit größte Teleskop für sichtbares Licht und nahes Infrarot sein.
Der Hauptspiegel des ELT besteht aus 798 sechseckigen Elementen – jedes mit einem Durchmesser von 1,45 m, 5 cm dick und einschließlich Halterung etwa 250 kg schwer. Gefertigt werden sie aus besonders dehnungsarmer Keramik. Zwar sind Luft- und Lichtverschmutzung, die größten Feinde niedrig gelegener Sternwarten, auf dem Cerro Armazones aufgrund seiner Höhe vernachlässigbar. Aber Windlasten, Temperaturänderungen und schwerkraftbedingte Verformungen, die die Positionen der Spiegelsegmente minimal stören, gibt es auch hier. Um sie zu korrigieren, wird für das ELT das derzeit wohl fortschrittlichste aktive optische System überhaupt entwickelt, dessen Grundprinzip die erdgebundene Astronomie seit knapp 30 Jahren nutzt: Kantensensoren detektieren relative Verschiebungen der Spiegelsegmente im Nanometerbereich. Brunel Mitarbeiter und Software-Entwickler Michael Pangrate erläutert, wie die Spiegelpositionen korrigiert werden: „Ein schneller Prozessor errechnet aus den Sensorsignalen in Echtzeit Steuersignale, mit denen die Spiegelsegmente mithilfe von Aktoren so positioniert werden, dass die externen Störungen ausgeglichen werden.“ Über 2.000 Aktoren sollen die Spiegelelemente des ELT so ausrichten, dass die Spiegeloberfläche stets ihre optimale Form behält. Hierfür sind 500 Positionierbewegungen pro Sekunde notwendig.
Jeweils drei Aktoren verbinden ein sechseckiges Spiegelsegment präzise mit der Trägerkonstruktion des Teleskops. Zudem kontrollieren die Aktoren durch Hub und Verkippung in zwei Achsen aktiv die Segmentposition in alle drei Richtungen.
Die Aktoren für das Positioniersystem des ELT-Hauptspiegels entwickelt die 1970 gegründete Karlsruher Physik Instrumente (PI) GmbH & Co.KG, die mit etwa 1.300 Mitarbeitern weltweit führender Spezialist für Nanometer-Positioniertechnik ist. Michael Pangrate war im Elektronikteam von PI zuständig für die Programmierung des Interpreters, also der Kommunikationssoftware, die die Signale des Hauptspiegelkontrollsystems in Anweisungen für die Ansteuerung der Aktoren übersetzt. Er beschreibt die Herausforderung so: „Bei relativ großen Stellwegen bis zu 1 cm müssen unsere Aktoren die Spiegelelemente so führen, dass ihre Position um weniger als 2 nm vom Sollwert abweicht – bei beachtlichen zu bewegenden Massen.“ Zusätzlich fordert die ESO eine Lebensdauer der Aktoren von 30 Jahren und eine minimale Wärmeabgabe.
Um diese Anforderungen zu erfüllen, hat PI einen speziellen Hybridantrieb aus elektromotorischem Spindelantrieb und Piezoaktor entwickelt, der große Verfahrwege mit extrem hoher Positionierungsgenauigkeit kombiniert. Die Spindel kann hohe Lasten über große Verfahrwege bewegen, positioniert aber relativ ungenau. Dagegen ermöglicht der Piezoaktor, den eine elektrische Spannung dehnt oder staucht, eine hochpräzise Positionierung über kurze Verfahrwege. Beide Antriebe werden gekoppelt, indem ein hochauflösender Sensor die Ungenauigkeiten der Motorspindel mit einer Auflösung von 0,1 nm misst. Aus diesen Daten werden Steuersignale abgeleitet, mit denen der Piezoaktor den Spindelantrieb korrigiert. Eine überdurchschnittliche Lebensdauer und hohe Zuverlässigkeit auch unter widrigen Umweltbedingungen werden durch ein speziell entwickeltes Aktorendesign erreicht: Dünne piezoelektrische Keramikfolien sind zu einem Multilayer verbunden, den eine keramische Isolierschicht umhüllt. Zusätzlich ist der Aktorblock in einer stickstoffgefüllten Metallkapsel untergebracht.
Jeweils drei Hybridantriebe positionieren ein Spiegelsegment in den drei Raumrichtungen. Ein gemeinsamer Hauptcontroller erzeugt die individuellen Fahrbefehle für jeden der drei Aktoren. Michael Pangrate weist auf eine Besonderheit des Controllerkonzepts hin: „Aufgabe war es, die Übertragungsprotokolle und Steuerungssoftware so zu entwickeln, dass die Schnittstelle zwischen den ELT-Korrektursignalen und den PI-Hybridantrieben eine hohe Flexibilität aufweist. Nachträgliche Anpassungen, die etwa durch veränderte Spezifizierungen oder technische Weiterentwicklungen am ELT nötig werden, lassen sich dadurch sehr einfach implementieren.“
Eine kontinuierliche Abstimmung im Projektteam stellt sicher, dass die Steuerungssoftware für die Positionsaktoren die extremen Anforderungen des ELT-Projekts erfüllt.
Genau hier war Pangrate in seinem Element, weil er seine langjährigen Erfahrungen bei der Entwicklung von Embedded Systems ins ESO-PI-Projekt einbringen konnte. „Nur dadurch, dass Hardware und Software direkt in die ELT-Technik eingebettet sind, können wir die extremen Anforderungen der ESO erfüllen“, betont der Brunel Mitarbeiter. Und die haben es in sich: Alle 2 ms werden 2.394 PI-Aktoren die ELT-Spiegeloberfläche über Jahre hinweg in Echtzeit nanometergenau positionieren und so dazu beitragen, dass das größte Auge der Welt unser Wissen über das Universum weiter verfeinern kann.
Text: Dr. Ralf Schrank
Copyrights: ESO/L. Calçada (Titelbild), ESO (Produktion), picture alliance/Erhard Neubert (Pangrate)